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Ruhestand - und nun?

Prof. Dr. Anna Schneider

Anna Schneider ist promovierte Psychologin und Professorin für Wirtschaftspsychologie an Hochschule Trier. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Verbraucherverhalten. Zudem ist Sie im Beirat der www.ageforce1.com

Frau Prof. Schneider, Sie lehren an der Hochschule Fresenius in Köln Wirtschaftspsychologie und haben sich schon vielfach mit dem Thema alter(n) und dem Ruhestand beschäftigt. Was unterscheidet Menschen die 2022 ihren Ruhestand beginnen von Menschen die schon seit 20 Jahren in Rente sind?

Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass ein höheres Lebensalter eben nicht gleichbedeutend damit ist, zum „alten Eisen“ zu gehören. Im Gegenteil, die hohen Potenziale dieser Lebensphasen sollten nicht brachliegen gelassen werden, sondern genutzt werden. Leider haben das bis heute einige Unternehmen nicht erkannt, was ich sehr bedauere. Ich hoffe, dass ändert sich zeitnah.

Menschen, die heute in den Ruhestand eintreten, unterscheiden sich mit Blick auf bedeutsame Lebensereignisse und biografische Herausforderungen von Menschen, die vor 20 Jahren in den Ruhestand gegangen sind. Personen, die jetzt in den Ruhestand gehen, haben den wirtschaftlichen Aufschwung und das „Wirtschaftswunder“ in ihrer Kindheit und ihrem frühen Erwachsenenalter miterlebt. Im Gegensatz zu den Kohorten vor ihnen, die Weltkrieg(e) miterleben mussten. Das bedeutet, diese frühen Erfahrungen und Prägungen unterscheiden sich deutlich im Vergleich dieser Kohorten.

Was macht das Ausscheiden aus dem Beruf aus psychologischer Sicht mit den Menschen?

Das ist eine Frage, die zunächst recht einfach klingt, aber gar nicht so leicht zu beantworten ist. Das Erleben der neuen Lebensphase und die damit verbundenen Herausforderungen unterscheiden sich mitunter deutlich. Neben individuellen und persönlichen Eigenschaften kommt es beispielsweise auch darauf an, welchen Stellenwert der Beruf für den betroffenen Menschen hatte. War der Beruf „Berufung“, oder diente er eher dazu, das Leben zu finanzieren? Personen, die in ihrem Beruf ihre „Berufung“ gefunden haben, konnten in ihrem Arbeitsleben Selbstwirksamkeit, schöne Erlebnisse, Autonomie, aber auch Gemeinschaft erfahren. Mitunter bestimmte dann der Beruf das Leben so sehr, dass auch das Privatleben sich stark danach ausrichtete. In diesem Falle ist der Ausstieg aus dem Beruf eine andere Herausforderung, als wenn dem Beruf eine weniger bedeutsame Rolle zukam. Wenn man nun also einen Beruf, oder eine Berufung aufgibt, dann fallen von heute auf morgen viele Aspekte weg, die einen gestärkt und bestärkt haben. Zudem fällt schlichtweg die gewohnte Tagesstruktur weg. Diesen neuen Zustand zu bewältigen, ist eine große Herausforderung und stellt im psychologischen Sinne eine Lebenskrise dar. Das bedeutet, dass der Übergang in den Ruhestand eine Herausforderung darstellt, der man begegnen muss. Aber das kann man durchaus proaktiv und erfolgreich tun. So ist es beispielsweise bedeutsam, sich ganz bewusst Tätigkeiten und ein Umfeld zu suchen, bei dem man die eigenen Stärken und Leidenschaften weiterleben kann. Das kann beispielsweise bedeuten, sich nun ehrenamtlich zu engagieren, sich stärker um die Enkel zu kümmern, oder aber auch eine Sprache zu lernen.

Stellen Sie Unterschiede zwischen Männern und Frauen fest, wenn es um das planen und leben der neuen Lebensphase geht?

Es gibt hier sicherlich Unterschiede, wobei diese nicht rein am Geschlecht festgemacht werden sollten. Grob zusammengefasst zeigt sich, dass sich Frauen weiterhin stärker auf die sozialen Kontakte konzentrieren. Das bedeutet, dass Frauen (nicht erst) im Ruhestand ein stabiles und nicht rein berufliches Netzwerk aufgebaut haben. Freunde, Familie und langjährige Freundschaften erleichtern den Übergang in den Ruhestand, weil hier diese Netzwerke tendenziell eher noch ausgebaut und vertieft werden. Bei Männern, denen oftmals die Rolle des Hauptverdieners zukam, besteht die Herausforderung darin, dass berufliche Kontakte und Strukturen wegfallen, die dann erst einmal kompensiert werden müssen.

Der „Ruhestand“ wird ja gerne auch „Un-Ruhestand“ genannt. Was sind Ihrer Erfahrung nach die beliebtesten Beschäftigungen, um der Ruhe „zu entgehen“, und warum scheint die Ruhe nicht erstrebenswert?

Unruhestand, das ist eine schöne und passende Bezeichnung, finde ich. Auch im eigenen Umfeld stelle ich immer wieder fest, dass insbesondere die Ruheständler diejenigen sind, die am meisten zu tun haben. Die Ruhe als solche, scheint nicht erstrebenswert zu sein. Vermutlich deshalb, weil der alte Spruch „Wer rastet, der rostet.“, ganz fest in den Köpfen verankert ist. Warum sollte jemand, der voll im Berufsleben stand, von heute auf morgen den ganzen Tag auf dem Sofa liegen? Menschen verändern sich nicht durch den Ruhestand, sondern bleiben relativ konstant mit Blick auf ihre Eigenschaften, Wünsche und Ziele. Aber sie haben mit der nun zur Verfügung stehenden, freien Zeit, schlichtweg andere Möglichkeiten, ihre Leidenschaften auszuleben. Und damit der Ruhestand möglichst lange genossen werden kann, besteht der Anspruch, sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig, möglichst lange fit zu halten.

Können, bzw. wie können Unternehmen für diese neue Situation passende Produkte und Dienstleistungen anbieten?

Zunächst einmal sollte damit aufgehört werden, aus Personen über 50 Jahren eine einzige Zielgruppe zu machen. Auch wenn Bezeichnungen wie „Golden Ager“, „Best Ager“ oder „Silver Surfer“ schmissig klingen mögen, bedeutet dies, dass man hier eine große und sehr heterogene Gruppe von Menschen in einen Topf wirft. 50+ ist nicht gleich 50+. Es ist doch ein wenig vermessen, jemanden, der 51 Jahre alt ist, Marathon läuft und mitten im Job steht, mit den gleichen Produkten und Dienstleistungen anzusprechen, wie jemandem, der 97 Jahre alt ist und möglicherweise bereits unter gesundheitlichen Einschränkungen leidet. Um passende Produkte und Dienstleistungen anzubieten, wäre es sinnvoll, ältere KonsumentInnen von Anfang an in die Entwicklung ebendieser Produkte und Dienstleistungen einzubinden. Denn: Wer, wenn nicht sie selbst, weiß am besten, welche Angebote tatsächlich benötigt werden?

Unsere umfassenden Informationen zur Stage Ruhestand finden Sie hier.

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